Die Farbe der See (German Edition) by Bank Jan von der
Autor:Bank, Jan von der [Bank, Jan von der]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783843707725
Herausgeber: Ullstein eBooks
veröffentlicht: 2013-10-10T22:00:00+00:00
8. Kapitel
BLASSBLAU
An diesem Nachmittag war die See eine gläserne blassblaue Fläche, unbewegt und ohne jeden Windstrich, die sich kaum von der dunstigen Konsistenz des Himmels darüber unterschied. Die Felseilande, die Marstrand zu Hunderten umlagerten, schienen mit ihren massigen, dunklen Braun-, Grau- und Ockertönen auf eine widersinnige Art in dieser farblosen Schwerelosigkeit zu treiben.
Genauso fühlte sich Ole. Versteinert und zur Reglosigkeit verdammt, zur gleichen Zeit jedoch in einem seltsamen Vakuum driftend. Nicht mehr in Gefangenschaft, aber alles andere als frei. Keinen Wind in den Segeln, keinen klaren Kurs und ohne festen Boden unter den Füßen.
Ole hob den Blick. Jenseits des Schärengürtels, wo die offene See sich zum Horizont hin erstreckte, gab es nichts mehr, woran sich das Auge noch hätte festhalten können. Nichts, bis auf das dunkel gekräuselte Schraubenwasser und den schwefelgelben, zäh in der Luft stehenden Schweif aus Dieselabgasen, die das Schnellboot auf seinem Weg nach Südwesten zurückgelassen hatte.
Heute Morgen, nach drei Nächten in der Festung, war von Wellersdorff auf das Schnellboot gebracht worden. Dieses hatte zwischenzeitlich ebenfalls den geschützteren Ankerplatz im Sund aufgesucht, und Ole hatte an den Aktivitäten der Crew erkennen können, dass das Auslaufen unmittelbar bevorstand. Als schließlich der Anker gelichtet wurde und der niedrige graue Bug sich dem offenen Meer zuwandte, hatte Ole von Wellersdorff noch einmal gesehen. Eingerahmt von zwei Bewachern hatte er auf dem Achterdeck des Schnellbootes gestanden, die Hand gehoben und zu ihm hinübergeblickt. Ole, an Deck der Skagerrak stehend, hatte zurückgewunken, obwohl er nicht sicher war, ob er sich den Gruß des Konteradmirals nicht nur eingebildet hatte. Vielleicht hatte er mit der Hand nur die grelle Sonne abgeschirmt, als er einen unweigerlich letzten Blick auf die Silhouette »seiner« Yacht geworfen hatte.
Nach der Abfahrt des Schnellbootes hatte Ole sich von Bord der Skagerrak geschlichen, was inzwischen ohne Probleme möglich war, da diese jetzt an der Pier der kleinen Werft lag. Er war mit der kleinen Dampffähre über den Sund gefahren und hatte den steinigen Weg um die Festungsmauern herum genommen. Von seinem alten Ausguck aus hatte er dem Schnellboot so lange nachgeblickt, bis es schließlich im Dunst auf der Kimm verschwunden war.
Ole wusste, dass er den Konteradmiral nicht mehr wiedersehen würde.
Plötzlich wurde er von einem unendlichen Gefühl der Einsamkeit übermannt. Wie ein Seemann, der nachts über Bord gefallen und dessen Schiff in der Dunkelheit verschwunden war: allein in einem schwarzen Meer treibend, ohne Hoffnung auf Rettung, und nur deswegen überhaupt noch den Kopf über Wasser haltend, weil es nichts anderes mehr zu tun gab, als noch ein bisschen weiterzuschwimmen.
In dieser Stimmung begann Ole seine Verluste zu zählen.
Der Konteradmiral, Rausch, der Professor. Weg. Tot, oder, in von Wellersdorffs Fall, so gut wie tot.
Lina. Ebenfalls verschwunden. Auch sie würde er wohl nicht wieder zu Gesicht bekommen. Das sagte ihm die unerbittliche Logik der Ereignisse. Die schwedische Polizei hatte so eng mit Korfmann und Strasser zusammengearbeitet, dass sie den Deutschen die Festung zur Verfügung gestellt und dort sogar Folterungen und Hinrichtungen geduldet hatten. Nein, Lina würde sofort von der Polizei verhaftet werden, sowie sie sich noch einmal in Marstrand blicken ließe.
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